Die Veloreise auf der Nord-Süd-Route von Basel nach Chiasso führt durch vier faszinierende, ganz unterschiedliche Kultur- und Landschaftsräume der Schweiz. Von der sonnigen Kulturstadt am Rhein, wo die Natur gegenüber dem Mittelland immer zwei Wochen voraus ist, führt die Reise zuerst durch die einsamen Hügel des Juras – damit Sie sich so richtig warm fahren können für den alpinen Abschnitt dieser Reise. Bevor es ans Eingemachte geht, durchqueren Sie jedoch das Mittelland und die Zentralschweiz mit ihren vielen Seen und Flüssen, Kirchen, Schlössern und Städten, in denen historische Stadtkerne und moderne Architektur Besucher in den Bann ziehen.
Im Herzen der Schweiz geht es vergleichsweise beschaulich zu und her, doch die Alpen nahen. Hoch zum Gotthardpass. Oben angekommen, ist der anstrengendste Teil geschafft. Jetzt sausen Sie talabwärts ins sonnige Tessin mit seinem südlichen Flair, von der alpinen Berglandschaft an die lieblichen Gestade der mit Palmen gesäumten Seen, und weiter nach Chiasso an der Grenze zu Italien, wo diese Reise endet.
Von Basel - Aarau
Gottlob führt die Route mitten durch das Stedtli Liestal. Es wäre schade, die hübschen Altstadtgassen mit den schön restaurierten Häusern, dem prächtigen Rathaus und dem Kantonsmuseum Baselland mit seinen vielbeachteten Ausstellungen zu verpassen. Es lohnt sich, einmal durch das Obere Stadttor zu pedalieren und sich vorzustellen, wie alljährlich zu Fastnacht der Feuerumzug Chienbäse mit seinen lodernden Feuerwagen und brennenden Fackeln unter dem ‚Törli‘ in die Altstadt zieht wie ein glühender Lavastrom in schwarzer Nacht.
Die Ergolz nimmt Sie schliesslich mit Richtung Jura, vorbei an Obst- und Kirschbäumen, die im Frühling mit ihrer Blütenpracht bezaubern. Vorbei an duftenden Rebhängen und am Naturlehrpfad Talweiher, wo Frösche quaken und Libellen über dem Wasser stehen, geht es schliesslich hinauf zur Schafmatt. Es ist der erste Pass dieser Reise, ein vergleichsweise sanfter. Trotzdem folgt eine ausgedehnte Schussfahrt. Sie endet an der Aare, an deren Ufern Sie gemütlich in die Kantonshauptstadt Aarau pedalieren.
Von Aarau nach Luzern
Aarau, Buchs, Suhr – Fremde mögen nur dank der Ortsschilder auseinanderhalten, wo die eine Stadt endet und die nächste beginnt. Doch bald führt die Strecke aus dem Häusermeer hinaus in die Natur, und in Muhen entführt Sie das Strohdachhaus aus dem 16. Jahrhundert in eine komplett andere Zeit und Welt. Es gehört zu den ältesten strohbedeckten Häusern das Kantons Aargau. Sein hohes, fast bis zum Boden reichendes Dach ist komplett mit handgedroschenem Stroh bedeckt. Im Jahr 2010 wurde die Südseite mit sagenhaften 15 Tonnen Schilf gänzlich neu gedeckt. Das Strohdachhaus beherbergt das Bauern- und Wohnmuseum und zeigt Gegenstände aus alten Handwerksberufen. Durch das liebliche Suhrental radeln Sie, vor sich immer wieder einen Blick auf die fernen Alpen erhaschend, entlang der Suhre nach Sursee am Sempachersee.
Nicht nur das hübsche Städtlein, auch die Kapelle nördlich davon lohnt einen Besuch. Sie erinnert an ein Datum, das jede Schweizer Schülerin, jeder Schweizer Schüler im Geschichtsunterricht gelernt hat: der 9. Juli 1386, das Datum der legendären Schlacht von Sempach zwischen den alten Eidgenossen und den Habsburgern. Bekannteste Anekdote: Arnold Winkelried soll beherzt ein Bündel Lanzen des habsburgischen Heers gepackt und sich aufgespiesst haben, um damit den Eidgenossen eine Bresche zu schlagen. Winkelried erlangte dadurch Heldenstatus. Bekannt ist Sempach aber auch für die hier ansässige Schweizerische Vogelwarte. Eine Beobachtungsstation, welche die Vögel überwacht, ihre Lebensweise untersucht und die Gründe für Bedrohungen erforscht.
Ein Selfie mit und auf der weltbekannten Kapellbrücke ist ein Must. Das 1300 erbaute Wahrzeichen Luzerns, die zweitlängste überdachte Holzbrücke Europas, kontrastiert spannend mit einem anderen Gebäude, das ebenfalls wegen seines spektakulären Daches Furore macht: In Sichtweite der Kapellbrücke steht das KKL Luzern, ein spektakulärer Bau des französischen Stararchitekten Jean Nouvel. Hauptmerkmal ist das weit auskragende Flachdach, das über den Vorplatz bis zum See hinaus reicht. Fast möchte man meinen, es biete den stattlichen Raddampfern, die dort vor Anker liegen, ein Schutzdach. Wenn das auch nicht der Fall ist, so überdacht es doch den weitläufigen Platz, von dem aus man weit auf den See hinaus und bis zur Rigi hinüberblickt.
Luzern – Amsteg
Amsteg – Gotthardpass
Der steile Abschnitt durch die Schöllenenschlucht zwischen Göschenen und Andermatt wird im Bus zurückgelegt. Es ist eine ‚teuflische‘ Gegend, nicht nur wegen des Aufstiegs. Den Eingang zur Schlucht markiert der gewaltige Teufelsstein von Göschenen, der beim Bau des Strassentunnels verschoben wurde. Auch in der Schöllenen war wie es heisst der Höllenfürst zugange, als es darum ging, eine Brücke über die wilde Reuss zu schlagen. Um 1300 wurde die erste Brücke erbaut, der Sage nach vom Teufel höchst persönlich. Der tobenden Wasser wegen erhielt sie den Namen Stiebender Steg. Später ersetzte eine kühne Steinbrücke jenen Steg: die bald 200-jährige Teufelsbrücke. Und schliesslich wurde eine moderne Brücke für den heutigen Verkehr gebaut, über die der Bus die Velogäste nach Andermatt bringt.
Die Brücken mögen modern geworden sein, der Blick in die Tiefe der Schlucht, wo die wilde Reuss schäumend zu Tale tost, sorgt jedoch unverändert für Schaudern. Und während man entspannt im Bus sitzt, schweifen die Gedanken zu den Händlern und Reisenden, die in dieser wildromantischen Schlucht mit ihren Maultieren auf Säumerwegen pass- und talwärts zogen.
Gotthardpass – Bellinzona
Nun folgt einer der Leckerbissen der langen Veloreise quer durch die Schweiz: die Tremola. Tremare ist italienisch und bedeutet zittern. Warum die alte, denkmalgeschützte Passstrasse mit den kunstvoll gebauten Kehren und dem Kopfsteinbelag zu ihrem Namen kam, sei dahingestellt. Eine Deutung dafür finden Sie spätestens, wenn sie über den unebenen Belag bergab holpern. Es rattert und schüttelt ganz schön, so dass Sie ganz schön ins Zittern kommen! In gemütlichem Tempo geht es auf der historischen Strasse, auf der einst Potkutschenräder knirschten und Pferdehufe klapperten, talwärts.
Eile wäre fehl am Platz. Umso mehr, als es viel zu sehen gibt. Da kann müssen Sie sich etwa sanft, aber bestimmt einen Weg durch eine Kuhherde bahnen. Oder es kommt Ihnen, ratternd wie anno dazumal, eine nostalgische Gotthard-Postkutsche mit Pferdegespann entgegen. Und wenn Sie den Blick von der Tremola lösen, schweift er beglückt über blühende Alpwiesen und auf die Gipfelwelt jenseits der Leventina. Ist es der Verkehr auf der Transitachse unten im Tal, den man rauschen hört? Oder doch der Wind, der durch die struppigen Grasbüschel weht?
Bellinzona – Lugano
Die Burgenstadt hinter sich lassend, radelt man nun gemütlich in Nähe des Flusses Ticino dem Lago Maggiore entgegen. Doch die Route folgt nicht etwa dem Ufer, sondern führt auf einem Netz von Strässchen kreuz und quer durch die fruchtbare Magadino-Ebene. Tomaten, Salate und Melonen aus der Tessiner Gemüsekammer beim nächsten Besuch einer Trattoria oder eines Ristorantes frisch auf dem Teller, ist ein ganz besonderer Genuss.
Noch einmal legt sich den Velofahrern eine Erhebung vor die Velopneus. Diesmal ist es der Monte Ceneri, der das Tessin in oberes und unteres Ceneri-Gebiet teilt und mit dem Auto in einem Tunnel durchfahren werden kann. Für die Velofahrer heisst es aber, den Hügel zu erstrampeln. Welch eine Sicht von der Rampe aus hinunter auf die Magadino Ebene, den Lago Maggiore und die umgebenden Berge! Doch der Blick gehört hier auch auf die recht stark befahrene Strasse, deren Autoverkehr man sich dank des Velostreifens nicht direkt aussetzt. Die Ceneri-Passhöhe ist bald erreicht, und die Passüberquerung wird mit einer rasanten Schussfahrt hinunter nach Tenero belohnt, von wo Sie weiter südwärts strampeln.
Entspannungs- und Wasserspasssuchenden sei das Splash & Spa Tamaro in Rivera empfohlen, ein moderner Wasserpark in Nähe der Talstation der Monte Tamaro Gondelbahn. Kulturfans schweben mit der Gondel auf den Monte Tamaro für einen Besuch der zeitgenössischen Cappella Santa Maria degli Angeli vom Tessiner Architekten Mario Botta. Sie stammt aus dem Jahr 1996 und ragt hoch auf dem Monte Tamaro wie ein Steg über die Bergflanke der himmelnahen Alpe Foppa hinaus. Wahrlich ein Ort für Engel, aber auch für eine grandiose Aussicht auf die Südtessiner Bergwelt.
Flankiert von Rebhängen führt der letzte Teil der Veloreise entlang dem Fluss Laveggio durch das Mendrisiotto nach Mendrisio. Das Mendrisiotto ist das grösste Weinanbaugebiet im Tessin. Höchste Zeit, mit einem Gläschen hiesigen Merlots auf die zauberhafte Velotour anzustossen. Denn nun ist es nicht mehr weit bis zur Grenzstadt Chiasso, wo die Reise endet.
